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ESSAYS & PAPERS

ARCHIVE, 1998-2008

HENRY JAMES.
The Turn of the Screw

Ghosts Governing the Governess.
Zur Charakterisierung der Gouvernante
in Henry James' The Turn of the Screw



  1. Drehungen
  2. Interpretationen
  3. Erscheinungen
  4. Verantwortung
  5. Ende
  6. Anhang


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1. Drehungen

1.1. Zur Fragestellung

Wie man es auch drehen und wenden mag, "The Turn of the Screw" scheint allen sich als endgültig bezeichnenden Interpretationsversuchen zu widerstehen. Diese Novelle von Henry James ist zum Magneten geworden für eine Vielzahl unterschiedlicher Thesen und Theorien[1], und oft geht die Diskussion der Kritiker über den normalen Austausch von Argumenten hinaus.

Was für eine Story ist nun "The Turn of the Screw"? Mit dieser Frage wäre wohl schon ein Großteil der Diskussion abgedeckt. Ist es eine Geistergeschichte? Eine psychologische Tiefenstudie einer hysterischen oder verrückten Gouvernante? Ein Lehrstück über viktorianische Moral?

Doch jede Interpretation muß sich der Frage stellen, wie sie die Gouvernante selbst sieht, wie ihre Handlungen, ihre Perspektive, ihr emotionaler Zustand, ihr Verantwortungsbewußtsein, ihre sozialen Vorstellungen, ihre Verläßlichkeit, ihre Erfahrungen zu werten sind. Der vorliegende Ansatz wird sich mit der Gouvernante und den Geistererscheinungen beschäftigen und mit der Fragen, wer von beiden schließlich wen beherrscht, wie das Verantwortungsbewußtsein der Gouvernante beschaffen ist, und schließlich warum Miles sterben muß. Dazu werden drei Sekundärtexte benutzt, die verschiedene Perspektiven zeigen und einen Einblick in die Diskussion liefern sollen.

1.2. Zur Diskussion

Stellt sich jedoch wirklich die Frage, ob die Gouvernante verrückt ist, bzw. wie "real" uns die erzählten Ereignisse und Personen sind? Ist dies eine Frage, welche für die Lesart der Novelle wesentlich ist, für den Charakter der Gouvernante, für unsere Meinung über ihr Verhalten? Oder lautet die Frage nicht auch: Wieviel wollen wir von all dem, was geschildert wird, als "real" gelten lassen? Wieviel von dem Geschehenen - oder Dargestellten - wird durch unsere Rezeption nicht schon gefiltert, auf Kriterien wie "wissenschaftlich", "unwissenschaftlich", "profund" oder "Nonsens" geprüft?

Wenn sich für uns als Leser die sogenannte Realität als durchaus losgelöst von der Erzählung, den Personen, Ereignissen und der gebotenen Perspektive präsentieren kann, zählt das für die Gouvernante selbst als Charakter nicht. Die Gouvernante ist eingebettet in die Geschichte, sie erzählt sie aus der Rückschau, es ist der Bericht einer Sterbenden, gegeben einem ehemaligen Schützling, nämlich Douglas[2]. Doch ebenso oft diskutiert wird ein anderes Problem: Daß "The Turn of the Screw" eine Horrorgeschichte ist, scheint klar. Doch worin der Horror besteht, darüber gibt es in der Diskussion keine einheitliche Meinung[3].

Der Ansatz des Reader Response Criticism dagegen gibt der Diskussion und deren Zweck eine positivere Wendung und gleichzeitig die Legitimation einer solchen Betrachtungsweise[4]: Es geht um die individuelle Lesart, der Text nimmt die Gestalt an, die man selber darin erkennen will[5]. So ist kein Ansatz dem anderen überlegen, keine Meinung wichtiger oder unwichtiger als eine andere[6], weil sie jeweils aus dem persönlichen Blickwinkel des Lesers stammen. Im folgenden nun sollen drei solcher analytischen Texte zu James' Novelle genauer betrachtet werden[7].









2. Interpretationen

2.1. Joseph Firebaugh - Wissen ist Macht

Joseph Firebaugh sieht als wesentliches Verbrechen in "The Turn of the Screw" daß den Kindern konsequent Wissen und auch neue Möglichkeiten vorenthalten werden. Die Kinder werden durch Gouvernante, Mrs. Grose und letztlich den Onkel, der deshalb, weil er Verantwortung an andere delegiert, nicht weniger, sondern noch mehr schuldig ist als jene; denn er scheint nicht willens, überhaupt überprüfen zu wollen, ob die, welchen er die Kontrolle überläßt, der Situation gewachsen sind, nein, er nimmt eine unerfahrene junge Frau wohl deswegen, weil sich keine andere gefunden hat. Auch, daß die Gouvernante die Briefe der Kinder einbehält, findet in diesem Zusammenhang Kritik - auch, wenn ihre Motive zu Wahrheitssuche und Schutz der Kinder edel sein mögen[8].

Der Verfasser vergleicht die Situation auf Bly mit Eden: Somit fällt Quint und Jessel die Aufgabe zu, den Kindern die Frucht der Erkenntnis zu verschaffen, weil sowohl der Onkel als auch seine Handlanger diese Verantwortung nicht so wahrnehmen, wie man es vielleicht erwarten möge. Allerdings - und hier beendet er die Gleichsetzung - weigert sich der Onkel auch nach vollendeten Tatsachen, tätig zu werden, und seine verschreckten Untergebenen gehen mit der Situation falsch um. Die Gouvernante ist somit "the inadequate priestess of an irresponsible deity - the Harley Street uncle, whose apparent inaccessibility, as well as his ultimate responsibility for the state of the children, is not unlike the situation of the Creator[9].". Dieses Verhalten führt zur Zerstörung der Kinder.

Während Firebaugh ansonsten weniger spekuliert als die anderen Texte, könnte doch Vergleich mit Eden ein wenig überzogen wirken - nicht nur, weil er auf der Annahme basiert, die Kinder seien tatsächlich unschuldig und die Gouvernante tatsächlich schuldig.

2.2. Stanley Renner - Hysterie und Geister

Dieser psychoanalytische Ansatz nennt seine Inhalte schon im Titel: "...Sexual Hysteria, Physiognomical Bogeymen, and the ‚Ghosts'...", wobei der Verfasser ausgeht von dem Problem, daß die Gouvernante eine exakte Beschreibung von Quint liefert, ohne ihn je gesehen zu haben. Er liefert eine Analyse der Story, die laut seiner Lesart der Hauptperson bescheinigt, sexuell hysterisch zu sein. In ihrer Hysterie beschreibt sie die Physiognomie der Erscheinung als am stärksten das zu jener Zeit geläufige Bild des Bösen repräsentierend, das zufällig mit dem von Quint übereinstimmt, jedoch sieht er die Gouvernante selbst als den bösen Geist der Story[10]. Der Tod von Miles steht für ihn symbolisch[11] für den Tod seiner sexuellen Identität.

Renner sieht diese Lesart als "a more significant story ... than either a ghost story or a parable of some amorphous good and evil[12]", doch erhält dadurch nicht die Geschichte eine zu eingeschränkte Perspektive? Warum soll ein Lehrstück über unterdrückte und unterdrückt werdenden Sexualität wichtige sein als die Frage nach Gut und Böse?

2.3. Shoshana Felman - Floras Spielzeug und Miles' Tod

Shoshana Felmans Text beschäftigt sich im wesentlichen mit dem Tod von Miles und der Frage nach einer unterschwelligen Bedeutung, die sich vor allem durch die Wortwahl andeutet[13].

Felman beschäftigt sich mit der Szene, in der die Gouvernante zusammen mit Flora am See ist und das erste Mal Ms. Jessel sieht, während Flora sich ein kleines Boot baut. Jedoch geht Felman davon aus, daß die Gouvernante deshalb glaubt, Flora wüßte von Jessel, weil sie sich das Boot baut - die Geste des Befestigens eines Stockes in einem Loch in einem Stück Holz, um ihn als Mast zu benutzen, erscheint ihr sexueller Natur, sie setzt Mast = Phallus und läßt daraus das Erschrecken der Gouvernante resultieren[14]. Doch ist dies wirklich der Fall?

In Wirklichkeit sieht das so aus: "My apprehension of what she [Flora] was doing sustained me so that after some seconds I felt I was ready for more. Then I again shifted my eyes - I faced what I had to face[15]". Die Ignoranz, die Flora gegenüber der Erscheinung zeigt, scheint der Gouvernante zu beweisen, daß sie es weiß. Auch der Schluß mast = master erscheint sehr gewagt[16]. Die Schlußfolgerung, die Gouvernante hätte durch ihre Ermittlung Miles getötet[17], stützt sie mit dem Gebrauch des Wortes grasp im letzten Kapitel - sie tötet ihn, indem sie beim Versuch des Begreifens ihn erstickt.









3. Erscheinungen

3.1. Die "irrealen" Erscheinungen

Hier stellt sich noch einmal die zentrale Frage: Was ist real? Denn für die Charakterisierung der Gouvernante ist es sehr wohl wichtig zu fragen, was für sie real ist. Was zum Beispiel würde sich an der Beurteilung der Hauptperson ändern, wenn sie sich die Geister nur einbilden würde, wenn sie eine Projektion ihrer inneren Ängste und Gefühle wären? Welche Auswirkungen hat eine derartige Betrachtung auf die Wertung ihrer Handlungen?

Wir nehmen die Umwelt wahr mit unseren physischen Sinnen, die Informationen zum Gehirn liefern. Diese Informationen werden dort verwandelt und mit unserem Bewußtsein konfrontiert, wir handeln aufgrund dieser Werte. Die Tatsache aber, daß man auch im Schlaf handeln kann, dort sogar denken und Vergleiche mit der Nicht-Traumwelt anstellen kann, stellt ein Problem hier ziemlich klar dar: Was ist, wenn unser Gehirn uns glauben machen will, was wir sehen, sei real[18]?

Ist es relevant zu fragen, ob die Geister real sind, oder sie nur von der Gouvernante als wirklich empfunden werden? Nein, es wäre aber ein wesentlicher Unterschied, wenn sie sich wissentlich und vorsätzlich die Geister ausdenken würde, um ihre Handlungen zu rechtfertigen. Die Gouvernante glaubt nach einer Weile sehr fest daran, wirklich Geister zu sehen. Und das ist wohl wirklicher Horror: Nicht Monster, nicht grauenhafte Gestalten, die nachvollziehbar sind, sondern die Vorstellung, daß die Dinge, die einem Angst einjagen und das Leben bestimmen und vermutlich auch grausame Konsequenzen nach sich ziehen können, nur in der eigenen Psyche existieren.

Die Geister von Mr. Quint und Ms. Jessel sind für die Gouvernante sehr real, sie stellen ihrer Meinung nach eine Bedrohung für die Kinder dar: Die Geister wollen Miles und Flora beeinflussen, besitzen, vielleicht sogar töten, aus welchen Motiven auch immer, Rache vermutlich.

Die Gouvernante sieht Quint zum ersten Mal, als sie sich auf einem Spaziergang befindet. Sie sieht ihn einem Turm des Anwesens stehen, hält ihn jedoch nicht für einen Geist, sondern einen Fremden. Sie ist demzufolge nicht von Anfang an von dem Gedanken besessen, es gäbe Geister auf Bly - erst als sie Mrs. Grose nach der zweiten Begegnung davon in Kenntnis setzt und die Erscheinung beschreibt, erfährt sie, daß die Person, die sie gesehen hat, bereits tot ist - und zu Lebzeiten einen (wie Mrs. Grose andeutet) schlechten Einfluß auf Miles gehabt hat.

Doch wenn die Gouvernante sich tatsächlich die Geisterscheinungen einbilden sollte, warum sieht sie dann am See nicht erneut Quint, sondern Jessel? Warum führt ihre Psyche - wenn es Einbildung sein sollte - eine zweite Person ein, wenn das Gesicht des Bösen doch schon bekannt ist?

Zu hinterfragen wäre die Sicherheit, mit welcher die Gouvernante oft handelt, mit der sie zu wissen glaubt, was geschieht, doch ist diesbezüglich zu sagen, daß die gesamte Erzählung der Gouvernante in der Rückschau geschieht. Diese Zeit auf Bly wird ihr nach dem Tode von Miles immer und immer wieder durch den Kopf gegangen sein, so daß sich in ihrer eigenen Perspektive Vergangenheit und Gegenwart und Zukunft vermischen, Vorahnungen und Vordeutungen möglich werden, ja, sogar Stilmittel eingebunden werden, um bewußt Gegensätze zu zeichnen.

Die Geister als Rechtfertigung für ihre Tat? Aber warum? Dies ist kein Polizeibericht. Sie erzählt dies einem ehemaligen Schützling, ohne, daß sie dazu verpflichtet wäre. Warum lügen, wenn sie nichts zu verlieren hat, wenn sie im Sterben liegt? Renners psychoanalytischer Ansatz läßt diesen Aspekt aus, er sieht die Geschichte offenbar als im normalen erzählenden Imperfekt geschrieben, wobei jedoch durchaus mehr als drei Jahrzehnte seit dieser Zeit vergangen sein mögen. Eine Neurose, die nach so langer Zeit identische Symptome zeigen sollte? Und schließlich stellt sie stets ihre eigenen Entscheidungen und Wahrnehmungen in Frage, sucht Bestätigung, sucht jemanden, der ihr glaubt, damit sie sich sicher sein kann, daß sie sich nicht alles nur einbildet[19].

3.2. Die "realen" Personen

Doch wie sehen die anderen, "wirklichen" Gestalten auf Bly aus? Die Zeichnung von Mrs. Grose stellt sie als wenig gebildet, etwas einfältig, aber durchaus zuverlässig und vertrauenswürdig dar. Ihre Sorge gilt in erster Linie den Kindern, und sie ist auch bereit, sich Autoritäten wie dem Onkel oder der Gouvernante selbst unterzuordnen. Die Gouvernante sucht und findet in Mrs. Grose die Freundin, die sie braucht, auch, wenn Mrs. Grose nicht alles sieht, was sie zu sehen meint - oder es nicht zugeben will, daß sie es sieht? Vielleicht hat die Hausmeisterin auch nur zuviel Angst davor, sich mit Dingen zu umgeben und zu konfrontieren, die sie weder verstehen will noch kann.

Die Gestaltung der Kinder erfolgt durch die Gouvernante selbst, und diese Beschreibung reflektiert wiederum ihr Wesen. Am Anfang ist sie enthusiastisch und unbedingt den beiden zugetan, ihre positive Sicht spricht für ein lebensbejahendes Wesen. Warum also sollte sie die Geister sehen wollen? Welchen Grund gäbe es dafür? Daß es chic sein könnte, auf einem alten Anwesen wie Bly ein paar Hausgeister zu haben? Doch diese Geistererscheinungen sind es, die ihre Sicht der Kinder verändern. All das Liebenswerte erscheint ihr als Fassade, denn nirgendwo ist nur Licht, überall ist auch Schatten. Schärft ihre Konfrontation mit den Geistern ihr Bewußtsein? Ihre Aufnahmefähigkeit? Ihr Urteilsvermögen? Wie schuldig oder unschuldig, bzw. wie beteiligt sind die Kinder?









4. Verantwortung

4.1. Die Beschützerin

Doch ihre Verantwortung den Kindern gegenüber macht sie nicht davon abhängig, ob diese schuldig sind oder nicht. Sie kennt ihre Aufgaben und nimmt sie wahr, ja, sie entscheidet sich bewußt fürs Bleiben (Kap. XV), obwohl ihr die Dinge über den Kopf zu wachsen scheinen. Sie sieht sich als Beschützerin der Kinder, würde dafür alles geben. Ob die Geister nun real sind, oder nicht - für sie sind sie es, und nichts wird sie davon abhalten, diesen Schutz auch zu geben. Wenn Firebaugh ihr vorwirft, den Kindern wissentlich Informationen vorzuenthalten, so ist das faktisch korrekt, aber sie tut es in dem Bewußtsein, sie zu schützen. Wie sollte sie da in der Lage sein, Miles zu ermorden? Denn obwohl sie Miles und Flora nicht in allem vertraut, ist ihre Liebe zu den Kindern über allen Zweifel erhaben. Und darin liegt ihre Tragik - selbst diese Liebe ist nicht genug.

4.2. Die Ermittlerin

Die Gouvernante bedrängt die Kinder nicht zum Spaß, und verdächtigt sie nicht ohne Grund. Sie will die Wahrheit erfahren, weil nur die Wahrheit ihr helfen kann, zu verstehen, und nur dieses Verstehen kann den Kindern helfen. Wenn sie von der Geisteridee besessen wäre, müßte sie quasi wollen, daß die Kinder schuldig sind. Wenn Miles ihr also am Ende versichert hätte, noch nie etwas von den Geistern gesehen zu haben, dann wäre dies eine Begründung gewesen, warum sie ihn hätte umbringen wollen - weil sie die Wahrheit nicht ertragen hätte können. Doch er bestätigt ihre Ahnungen: Somit hat sie kein Motiv, und ihre Liebe schützt sie vor einer unfreiwilligen Tötung.









5. Ende

5.1. Verlorene Liebesmüh'?

Miles stirbt[20]. Doch nicht, ohne vorher die Ahnungen seiner Inquisitorin zu bestätigen. Woher weiß er? Er ist es, der Quint identifiziert! "... for if he were innocent what then on earth was I[21]?", fragt sie sich. Doch dies ist der Schlüssel: Wäre er unschuldig, wüßte er nicht von Quints Geist, denn sie hatte ihm nichts erzählt. "Peter Quint - you devil!" Doch wen meint er mit devil? Doch noch wichtiger ist die Frage, wer spricht das? "he uttered the cry of a creature hurled over an abyss". Ist das Miles? Wenn Felman die Wortwahl so sorgfältig analysiert hat, warum dann nicht auch diese? Mit dieser Phrase wäre die Situation beschrieben: Die Gouvernante hat Miles dazu gebracht, gegen Quint zu kämpfen. Quint stirbt hier - er ist die creature. Miles ist gerettet, und sie hält ihn mit Freude und Erleichterung.

Doch Miles stirbt. Nicht aus Angst, denn die Gefahr hat er überwunden. Ist es die Anstrengung? Die Trennung von Quint? Oder nicht vielmehr eine letzte Rache Quints, der den Onkel und dessen Bedienstete unwahrscheinlich stark gehaßt haben muß? Quint nimmt ihn mit ins Grab - aber vorher konnte die Gouvernante seine Seele retten. Er stirbt "dispossessed".

5.2. Ghosts Governing the Governess?

Haben die Geister die Gouvernante beherrscht? War sie deren Werkzeug? Ja und nein. Ihr Denken haben sie bestimmt - denn sie wollte vor ihnen die Kinder schützen. Ihr Werkzeug? Nein, denn befriedigender für Quint wäre es gewesen, Miles von den Gepflogenheiten seines Standes abzubringen und dem Onkel zu entfremden. Er tötet Miles, weil das seine einzige verbleibende Option ist. Denn ohne Miles kann Quint nicht weiterhin existieren.

Und die Moral? Die Gouvernante "did wish to learn, and she did learn" (James 27). Sie ist über sich hinausgewachsen, hat gegen alle Widerstände die Kinder verteidigt. Doch leider zählt dazu auch das folgende: Nicht immer kann das, was wir erstreben, erreicht werden, das Resultat kann oftmals anders aussehen. Sie hat Miles' Seele gerettet - aber um welchen Preis. Miles' Tod ist die letzte Schraubendrehung in dieser Geschichte.









6. Anhang

6.1. Literatur

  • James, Henry. The Turn of the Screw. Ed. Peter G. Beidler. Case Studies in Contemporary Criticism Series. Ed. Ross C Murfin. Boston, N.Y.: Bedford-St. Martin's 1995


  • Booth, Wayne C. Booth. "’He began to read to our hushed little circle’: Are We Blessed or Cursed by Our Life with The Turn of the Screw." Henry James, The Turn of the Screw. Ed. Peter G. Beidler. Case Studies in Contemporary Criticism Series. Ed. Ross C Murfin. Boston, N.Y.: Bedford-St. Martin's 1995. 193-206
  • Felman, Shoshana. "’The grasp with which I recovered him’: A Child Is Killed in The Turn of the Screw." Henry James, The Turn of the Screw. Ed. Peter G. Beidler. Case Studies in Contemporary Criticism Series. Ed. Ross C Murfin. Boston, N.Y.: Bedford-St. Martin's 1995. 193-206
  • Feuerlicht, Ignace. "'Erlkönig' and The Turn of the Screw" Journal of English and German Philology 58 (1959)
  • Firebaugh, Joseph J. "Inadequacy in Eden: Knowledge and The Turn of the Screw." A Casebook on Henry James’s "The Turn of the Screw". Ed. Gerald Willen. New York: Thomas Y. Crowell, 1969, 1970[2]
  • Putt, S. Gorley. A Reader’s Guide to Henry James, London: Thames and Hudson, 1966
  • Renner, Stanley. "’Red hair, very red, close-curling’: Sexual Hysteria, Physiognomical Bogeymen, and the 'Ghosts’ in The Turn of the Screw." Henry James, The Turn of the Screw. Ed. Peter G. Beidler. Case Studies in Contemporary Criticism Series. Ed. Ross C Murfin. Boston, N.Y.: Bedford-St. Martin's 1995. 223-241

6.2. Endnoten

[1] "they are all as momentarily convincing, and as mutually exclusive, as a set of party manifestoes at the time of a General Election. Whatever else they prove, they certainly indicate that The Turn of the Screw, like Stonehenge and the Sphinx, is still able to baffle the most learned expert no less than the first casual observer." (Putt 396)
[2] Eingeleitet wird die Erzählung von einer Szene, welche die rezipierende Gesellschaft und den Anlaß des Vorlesens darstellt. Die Geschichte der Gouvernante wird als weihnachtliche Horrorgeschichte präsentiert, vorgestellt und vorgelesen von eben diesem Douglas, der offensichtlich in die Gouvernante verliebt war. Ob sein Lob für sie dann nicht anzuzweifeln, weil befangen, ist, stellt sich als eine der Fragen an die Novelle.
[3] Stellt sich der erschreckende Effekt ein aufgrund der Geister? Aufgrund der Handlungen der Gouvernante? Der anderen Personen? Der gesellschaftlichen Verhältnisse ? Der persönlichen Verhältnisse, der Psyche der Gouvernante? Sind die Geister "real", oder nur Projektionen einer gestörten Persönlichkeit .? Welche Aspekte der Geschichte drehen die Schraube des Horrors ein Stückchen weiter in den Geist des Lesers? Welche Moral steckt hinter dem Werk?
[4] "For some, the result of such endless revisions of reading responses should be not bitter frustration but a kind of thrill as bafflement yields illumination about the true nature of literature and life: no interpretation of any story, or indeed of any event in real life, can ever be fixed, determinate, counted on to be the interpretation; all views are underminable, 'deconstructible’ - in short, not only should every conclusion be held as temporary, but all controversies must be seen as unresolvable, undecidable, or as some critics put it, 'unreadable’." (Booth 173)
[5] Dies mag ein wenig nach höherer Physik klingen - das Heisenbergsche Unsicherheitsprinzip sagt im Prinzip das gleiche aus: Jede Messung (oder Interpretation) verändert gleichzeitig die Werte (oder die Textrezeption) selbst
[6] "I have then sometimes developed fancy hypotheses in the effort to prove my opponents wrong - only to discover that the hypotheses had nothing to say for themselves except that they were mine. I was wrong again - and again." (Booth 176)
[7] Alle diese drei Texte beschäftigen sich in unterschiedlicher Weise mit der Gouvernante, doch versuchen sie gemeinsam, die Schuld der Gouvernante zu beschreiben. Die unterschiedlichen Ansatzpunkte sind Wissensvermittlung, Hysterie und Stereotypen, sowie Wortwahl.
[8] "But a good person may often do evil in the name of god - may do so through an inadequate theory of knowledge and a questionable view of human nature. The high value the governess places on intuition as opposed to evidence, shown in her ready acceptance of things she does not see, and in her refraining from putting inquiries; her conviction, despite all the external evidence of their characters, that the children are corrupt, the victims of Sin, through knowing what everyone must know - these facts show that the governess’s theory of knowledge is inadequate, and her theory of human nature at least as doubtful as the dogma of Original Sin." (Firebaugh 297)
[9] Firebaugh 297
[10] "The powerful aura of evil that pervades the story emanates from the psyche of the governess, who, after all, tells the story: it is her hysterical aversion to sexuality, heightened for satirical effect by James’s subtle irony." (Renner 238)
[11] "... whose death, of course, is not actual but symbolic of the permanent harm done to the very core - the ‚heart' of his sexual being. [...] At least a story about the damage done to the sexual development of children by Victorian sexual fear and disgust would satisfy James’s own requirement that the art of fiction must achieve an imitation of life." (Renner 239 f.)
[12] Renner 240
[13] So lenkt sie den Blick auf oft wiederkehrenden Schiffsmetaphern, wie auch auf die Doppelbedeutung von grasp = begreifen/festhalten im letzten Kapitel. Ebenso geht sie auf die Begriffskette phallus - mast - master ein.
[14] Felman 200 ff.
[15] James 54, meine Hervorhebung
[16] Etymologischer Ursprung von master ist wohl lat. magister. Die rein orthographische Ähnlichkeit ist kein Grund, eine Gemeinsamkeit zu vermuten. Auch scheint die Autorin hier einem Zirkelschluß nach Freudscher These zum Opfer gefallen zu sein: Sucht man eine sexuelle Interpretation, so findet man sie.
[17] "For it is by the very act of forcing her suspect to confess that the governess ends up committing the crime she is investigating, it is nothing other than the very process of detection which constitutes the crime." (Felman 205)
[18] Wenn man sich z.B. vorstellt, man hätte Hunger, hat man diesen dann womöglich auch. Das entspricht der These, daß einem dann etwas zustoßen wird, wenn man daran glaubt, sei es nun positiv oder negativ.
[19] " In going on with the record of what was hideous at Bly, I not only challenge the most liberal faith - for which I little care; but - and this is another matter - I renew what I myself suffered, I again push my way through it to the end. There came suddenly an hour after which, as I look back, the affair seems to me to have been all pure suffering; but I have at least reached the heart of it, and the straightest road out is doubtless to advance." (James 64) Hiermit ist sie sich durchaus bewußt, daß, was sie erzählt, wenig glaubhaft ist, doch sieht sie ihren Bericht als Rechtfertigung. Wenn sie in der Rückschau hier vor allem sagt, daß sie gelitten hätte, negiert dies, daß sie glauben könnte, Miles ermordet zu haben. Auch sonst ist die Klarheit ihrer Darstellung davon entfernt, eine Lüge zur Vertuschung sein zu können.
[20] "The death of a healthy child from mere mental shock seems ... almost as unbelievable as the existence of evil ghosts. Miles’s ‚little heart', as the governess says, - this, by the way, is the moving style of a loving and lovable person, not of a lunatic or a sadist - has stopped because it has been ‚dispossessed' ... exorcised." (Feuerlicht, Ignace. "'Erlkönig' and The Turn of the Screw" Journal of English and German Philology 58 (1959), 74 (Feuerlicht 74, zitiert nach: James 142)
[21] James 116, ebenso die folgenden Zitate


February 19th, 1998 / October 31st, 1998 [HTML Version]